Afrika

Karrierewege von GeisteswissenschafterInnen Vol. 9

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Philosophisch praktischer Brückenbau

Der Jurist und Philosoph Harald Friedl blickt auf eine ereignisreiche berufliche Laufbahn zurück. Rückblickend würde er sich als nonkonformistisch beschreiben – als jemanden, der sich durch überkommene Strukturen herausgefordert fühlte. Er begann in Graz Rechtswissenschaften zu studieren, merkte aber schnell, dass ihm das noch nicht genügte: „Zum einen hatte ich einen Hang zur Gerechtigkeit und hing damals noch der Illusion an, mit Jus könne man dazu beitragen. Zum anderen stellte ich fest, dass meine eigentlichen Fragen durch die Rechtswissenschaften nicht beantwortet werden konnten. Auch das Philosophie-Studium lieferte mir letztlich keine Antworten auf meine wichtigen Fragen, doch habe ich dort gelernt zu suchen und zu forschen, nachzubohren und zu analysieren. Damals hatte ich zudem noch die schöne Freiheit mittels Fächerbündel alles zu studieren, was mir irgendwie interessant erschien, Soziologie, Psychologie, Politologie – im Prinzip habe ich überall dort hineingeschnuppert, was mir seltsam erschien, weshalb ich mehr darüber erfahren wollte.“ Bereits während des Studiums begann Harald Friedl als Journalist und Reiseleiter zu arbeiten. Das hatte damit zu tun, dass er bereits mit 21 Jahren, im Jahr 1989, in die Sahara gereist war: „Ich hatte damals das drängende Gefühl aus- und aufbrechen zu müssen. Ich brauchte diese Reise um mich aus meinem ‚Milchbuben-Dasein’ zu befreien und mich weiterzuentwickeln. Das war für mich eine nachhaltig prägende Erfahrung – vor allem die Begegnung mit ‚exotischen‘ Kulturen, ja überhaupt die Begegnung mit dem ‚Fremden’, die ja immer auch eine Begegnung mit sich selbst ist.“ So wurde Harald Friedl 1991 zunächst Reiseleiter, um „mehr“ von der Fremde zu bekommen.

Prof. (FH) Mag. Mag. Dr. Harald Friedl in der Sahara – die „Magie der Wüste“

Mit der Zeit wurde ihm der Aufklärungsaspekt immer wichtiger, weshalb er sich zunehmend in entwicklungspolitische Zusammenhänge vertiefte. Er begann für mehrere Magazine, darunter Südwind, und auch für Zeitungen wie den Standard zu schreiben. Unter Christian Brünner arbeitete Harald Friedl dann auch als Presserechtsexperte beim Liberalen Forum. „Ende der 90er-Jahre nahte dann der zweite Studienabschluss. Für mich lag es nahe, etwas mit Tourismus zu machen. Ich hatte mir damals die Frage gestellt, welche negativen Auswirkungen der Tourismus mit sich bringt, und inwieweit man zu reisen überhaupt vertreten könne. Damals hatte ich Vorlesungen von Dr. Andreas Obrecht zum Thema Globalisierungstheorie besucht. Er motivierte mich, für ein halbes Jahr nach Afrika zu gehen um empirisch zu forschen. Also lebte ich 1999-2000 für ein halbes Jahr bei den Tuareg im Norden der Republik Niger und forschte über die dortigen Folgen des Tourismus. Dabei entwickelte ich weitreichende neue Theorien über Tourismusethik. Aus meiner umfangreichen Diplomarbeit entstanden dann auch zwei Buchpublikationen, ‚Tourismusethik‘ und ‚Respektvoll Reisen‘.“

Auf Basis dieser neuen Erkenntnisse entwickelte Harald Friedl in Kooperation mit Kneissl Touristik und Hauser Exkursionen möglichst umwelt- und sozialverträgliche Touren. Parallel dazu konnte er seine Forschungen fortführen, da er zu dieser Zeit an seiner Dissertation schrieb und weiterhin als Journalist arbeitete. Von einer Kollegin erfuhr er wenig später von einem neuen Studiengang an der FH Joanneum in Bad Gleichenberg, ‚Gesundheitsmanagement im Tourismus‘: „Meine Kollegin sagte mir, es gäbe niemanden, der Ethik im Tourismus anbieten könne, und ich dachte mir, doch, es gibt jemanden: mich. Also habe ich mich bei der Studiengangsleiterin gemeldet und mir wurde gleich ein kompletter Lehrstuhl für Tourismuswissenschaften angeboten.“ Seit 2004 unterrichtet Harald Friedl nun Tourismusethik, Nachhaltigkeit im Tourismus und touristische Produktentwicklung im Naturtourismus. Nachdem der Studiengang noch jung war, hatte er die Möglichkeit zur Mitgestaltung. „Parallel dazu habe ich bis 2012 noch Touren geführt, das war eine schöne Wechselwirkung. Währenddessen hat sich aber in der Sahara, meinem ‚Spezial-Reiseziel‘, durch Rückkoppelungen auf Globalisierungsprozesse sehr viel verändert – der sogenannte Krieg gegen den Terrorismus, der zunehmende Staatenzerfall, die Zerstörung Libyens, etc. De facto wurden diese Gebiete von der touristischen Landkarte radiert. Deswegen pausiere ich derzeit als Reiseleiter, bin aber schon wieder im Aufbau mit Kooperationen, zurzeit mit Weltweitwandern. Was ich mittlerweile mache, ist eine Art philosophischer Brückenbau zwischen konkretem Tourismus und seiner Metaebene, indem ich analysiere, welche Konsequenzen Tourismus mit sich bringt. Da dient mir meine philosophische Ausbildung in hohem Maße. Das systemisch analysierende, verstehende Denken ist hier sehr hilfreich um Zusammenhänge zu erfassen und Missverständnisse aufzuklären. Ein klassischer Touristiker, der nur Techniken zur Optimierung seines Systems gelernt hat, kann das nicht.“

Harald Friedl erklärt, dass Tourismus, im Gegensatz zu nichtorganisiertem Reisen, die Ausdehnung des Wohnzimmers bedeutet, während man als Reisender die eigenen vertrauten Systemgrenzen überschreitet um bislang Fremdes bewältigbar zu machen und es dadurch ins eigene System zu integrieren. Tourismus setzt notwendigerweise kolonialistische Rahmenbedingungen voraus, denn Tourismus konnte nur dort beginnen, wo die notwendigen Bedingungen des organisierten Reisens, wie Infrastruktur, Friede, Wohlverhalten infolge von Unterwerfung des Andersartigen herrschten. Ein Tourist möchte kein Risiko eingehen. Es fehlt ihm das Wissen über die zu bereisende Kultur und die nötige Sozialkompetenz. Diese fehlenden Kompetenzen werden durch den Kauf eines organisierten Tourismusprodukts kompensiert. Dadurch kann er gefahrenlos unterwegs sein. Dafür ist aber innerhalb dieses organisierten Rahmens eine authentische Begegnung nicht möglich, es sei denn, der Tourist überschreitet die Grenzen des Organisierten und lässt sich auf Unvorhersehbares ein. Jenseits der Authentizität aber herrscht laut Harald Friedl die Unterwerfung einer fremden und darum zu beherrschenden Kultur. Dem gegenüber zeichnet sich nachhaltige Tourismusentwicklung durch partizipative, bedürfnisorientierte Integration von „Bereisten“ aus. Es geht um eine langfristige Balance zwischen Ressourcen und Bedürfnissen der Beteiligten anstelle von maximaler Gewinnorientierung.

Harald Friedl mit einem Tuareg im Dorf Timia, Niger

Harald Friedl sieht die Schlüsselfähigkeit von GeisteswissenschafterInnen in der Fähigkeit, Brücken zwischen verschiedenen Denksystemen herzustellen, in der Stärke, auf Metaebenen zu denken, vorhandene Ideen zu nutzen, um sie zu transformieren und zu transportieren, um dadurch neue hilfreiche Konzepte zu entwickeln. All das leistet einen wertvollen Beitrag um neue, konkrete Probleme zu lösen. Deswegen ist Harald Friedl zusätzlich im Bereich Förderung und Entwicklung von Unternehmenskulturen tätig: „Was ist denn Kultur überhaupt? Ich kann Kultur ja nur beeinflussen, wenn ich ein Verständnis, ein Konzept davon habe. So war es für mich als Philosoph und Touristiker anfangs in diesem Studiengang „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ etwas schwer, laut über Gesundheit nachzudenken, weil wir – aufgrund unserer jeweiligen Ausbildungskultur – gewohnt waren innerhalb unserer Disziplinen zu verharren. Das hat uns alle betroffen und hat uns anfangs die Arbeit erschwert. Mit der Zeit haben wir jedoch gelernt eine inter- und transdisziplinäre Kultur zu entwickeln, indem wir über die Grenzen schauten und wie Reisende uns Schritt für Schritt auf die uns fremde Disziplinen einließen. Und darin liegt die Stärke der Kultur unseres Studienganges, dass wir über einander nachdenken, dadurch die anderen Disziplinen immer mehr verstehen und uns immer besser verknüpfen können.

Was in der universitären Ausbildung laut Harald Friedl fehlt, ist die Ermutigung zu eigenem experimentierendem Forschen, zu schlichtem ‚trial and error‘: „Und das ist ja auf gut Deutsch unternehmerisches Denken“, erläutert er. „Das erklärt für mich auch, warum so viele GeisteswissenschafterInnen eher die Uni als ihr Wirkungsfeld betrachten. Denn eines ist klar: Man muss die Sprache des ‚Feldes‘, der Wirtschaft und der Menschen da draußen, lernen und die bisherige eigene Form der Auseinandersetzung mit dem Feld überdenken. Das war für mich anfangs ein sehr schmerzhafter, lernintensiver Prozess. Ich war früher eher ein Außenseiter, als der ich zwar wahnsinnig viel wusste, doch hatte ich es nicht geschafft dieses Wissen hilfreich rüberzubringen. Dann habe ich angefangen darüber nachzudenken, wie es auf andere wirkt, wenn ich bestimmte Dinge sage. Und das ist ja eigentlich ‚Sprachenlernen’. Aber diesen Prozess der Selbstbeobachtung und Selbstreflexion lernt man nur im Feld, nicht aber, wenn ich immer nur am selben Institut mit denselben Leuten zusammenarbeite. Das wäre ja gleichsam ‚geistiger Inzest‘. Deswegen denke ich, dass Erasmus-Programme einen unheimlich wichtigen Beitrag liefern, um als Geisteswissenschaftler den eigenen Horizont zu überschreiten, neue Sprachen zu erlernen. Ich war 1994 einer der ersten Philosophie-Studenten, die einen Erasmus-Aufenthalt absolviert hatten. Ich konnte mein halbes Jahr in Caen, Frankreich, auch sofort verlängern, denn in meiner Studienrichtung gab es fast niemanden, der dieses Programm nutzen wollte. Die wahrscheinlich damalige Einstellung meiner KollegInnen war wohl: Warum in die Welt hinausgehen, wenn ich alles in Büchern finde. Der springende Punkt ist aber: Ich muss mich herauswagen, die Dinge angreifen, die ich nicht kenne oder die mir gar Angst machen, um mit der Welt da draußen vertraut zu werden. Genau darum habe ich mich in so vielen Kulturen bewegt – ob in jenen von Ländern, Berufen oder Wissenschaftsdisziplinen.“

Abseits der FH arbeite Harald Friedl zusätzlich als interkultureller Trainer und Konsulent, unter anderem für die Friedenstruppen des Österreichischen Bundesheeres sowie für die bundesdeutsche Marine. Außerdem unterrichtet er Themen wie Konfliktmanagement und „Partnersuche im Internet“ im Bereich der Erwachsenenbildung.

Die große Herausforderung für junge Menschen sieht Harald Friedl heutzutage darin, Entscheidungen zu treffen und wichtige Fragen, oder besser gesagt, Grenzfragen zu stellen. Etwa die Frage, wie Geisteswissenschaften wertschöpfend praktiziert werden können ohne gleichzeitig von einer rein gewinnmaximierenden Kultur ausgebeutet zu werden oder sich ihr völlig zu unterwerfen. Um sich solche Fragen stellen zu können muss man jedoch in beiden Feldern stehen und Mut beweisen: „Wenn ich den Mut dazu nicht aufbringe, bleibt mir nichts Anderes übrig, als ewig Bücherstaub zu schlucken“, schmunzelt Harald Friedl.

Text: Birgit Nikzat